Anne Kany Was regt mich auf? Siebdruck Es regt mich auf, dass Menschen gezwungen sind aus ihrer gewohnten Umgebung, ihrer Heimat, zu fliehen. Es regt mich auf, dass an manchen Orten Menschen, der Zugang zu Bildung verwehrt wird. Es regt mich auf, dass ich in meiner Rolle als Pädagogin, diesen Menschen dazu zwingen muss Lesen und Schreiben zu lernen, obwohl diese Menschen gar nicht verstehen können, warum sie es lernen sollen. Es fällt ihnen zudem sehr schwer. Als Kinder, in der sprachsensiblen Phase, haben sie nicht gelernt Gesprochenes in ein abstraktes Zeichensystem zu transkribieren. Dies als Erwachsene zu lernen ist sehr schwer. Es regt mich auf, dass es für diese Frauen nur eine geringe Chance auf Integration gibt. Das all- gegenwärtige Konzept von geschriebener Sprache bleibt ihnen verschlossen. Aus diesem Grund verstehen sie, die in Beamtendeutsch formulierten, seitenlangen Briefe nicht, die an sie gerichtet werden, die Männer oder die Kinder lesen diese. Die Frauen bleiben in einem dauerhaften Abhängig- keitsverhältnis. Es regt mich auf, dass meine Aufgabe, diese Frauen in einen sozialversicherungspflichtigen Job zu bringen, so schwer ist, denn diese Frauen haben ohne Sprachkenntnisse, gesprochen oder ge- schrieben, keine Chance. Ich soll ihnen beibringen, wie man eine Bewerbung SCHREIBT. Es regt mich auf, dass unser System so unflexibel, und dass die Betriebe die wir kontaktieren, nicht einmal dazu bereit sind die Möglichkeit für ein Praktikum zu schaffen, damit die Frauen ihre prakti- schen Fähigkeiten unter Beweis stellen können. Es regt mich auf, dass diese Frauen sich in Deutschland wert- und nutzlos vorkommen, nur weil sie hierzulande relevante Kultur-techniken nicht beherrschen. Als was sie konnten und erlernt haben können sie hier nur bedingt, vor allem im Privaten, anwenden. Im Falle von Halima handelt es sich um eine Syrerin kurdischer Abstammung. Der Schulbesuch wurde ihr nicht nur verwehrt, weil sie eine Frau ist, sondern auch weil sie Kurdin ist. Sie kann nicht lesen, nicht schreiben. Wir versuchen es ihr beizubringen, aber sie versteht nicht warum sie es lernen soll, macht es dennoch, aber ohne Motivation. Sie spricht kaum Deutsch, aber es wird klar, dass es ihr schlecht geht. Sie ist traumatisiert durch die Erlebnisse im Krieg. Wenn wir richtig verste- hen, erzählt sie von Terror und Folter an ihr und der kurdischen Minderheit durch den IS. Sie kann aber mit niemandem darüber reden, da sie niemand versteht.“